„Lernen kann das eigentlich jeder“

Streiflichter Coesfeld, 4. August 2010 von Sebastian El-Saqqa

Marian Rick aus Billerbeck kann einen Roman im Eiltempo lesen. „Fotolesen“ ist bundesweit kaum verbreitet

Billerbeck.
18 Jahre ist Marian Rick heute alt. Wer ihm gegenüber sitzt und sich mit ihm unterhält, der hat einen wachen, tiefsinnigen intelligenten Gesprächspartner vor sich, einen, der viel vom Leben weiß. Vor knapp zwei Jahren kam der Schüler des Nepomukenums in Coesfeld durch private Kontakte mit Claudia Pinzke in Kontakt. Sie leitet seit 2003 das Institut für Bioenergetisches Lernen in Münster und bietet seitdem Seminare an, die sogenannte „rechts-dominante“ Lerntechniken (siehe Infokasten „Zum Thema“) vermitteln, die nach Aussage der Institutsgründerin beschleunigtes Lesen ermöglichen.
Dieser Kurs war ein Geschenk der Eltern für ihn und seinen heute 20-jährigen Bruder Joschka. Der Grund dafür seien aber weniger Schwierigkeiten in der Schule noch Langeweile gewesen, lacht der 18-jährige Billerbecker. Wenn er rückblickend seine Entscheidung überdenkt, habe er alles richtig gemacht und kann es nur jedem empfehlen. Das Erlernte habe ihm nicht nur die Arbeit in der Schule erleichtert, auch das Lesen eines Romans ginge nun in „null Komma nichts“.

Buch aus der Vogelperspektive betrachten und lesen
„Lernen kann das eigentlich jeder“, ist der 13-Klässler überzeugt. Auch nach Überzeugung der Institutsleiterin Claudia Pinzke gibt es viele Menschen, deren rechte Gehirnhälfte stärker ausgeprägt ist und stärker arbeitet als die linke. Sie kommen nicht vom Detail aufs Ganze, also zum Beispiel vom Buchstaben aufs Wort. Sie prägen sich ein neues Wort fotografisch ein. Rechts-dominant denkende Menschen kommen dagegen vom ganzen aufs Detail. Sie haben ein extrem gutes fotografisches Gedächtnis, zu denen auch Marian Rick sich zählen kann. Diese Menschen wissen oft noch nach zwei Jahrzehnten, in welcher Reihenfolge ihre Schulkameraden in der achten oder neunten Klasse in den Bänken gesessen haben, die Namen haben sie längst vergessen. Diese Menschen lesen ein Buch nicht Wort für Wort, sondern betrachten eine ganze Seite aus der Vogelperspektive und haben sie im Kopf. Doch diese Menschen können es mitunter schwer haben: „Das Lernschema in unseren Schulen ist fast ausschließlich links-dominant ausgerichtet“, sagt Rick.
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Über 22.000 Wörter pro Sekunde kann Marian Rick aufnehmen, ohne diese allerdings direkt zu verarbeiten. Das ist keine Begabung, sondern das Ergebnis aus fast zweijähriger Arbeit am Institut für Bioenergetisches Lernen in Münster.

Der 18-Jährige beschreibt eine alltägliche Situation aus dem Schulleben: „Wir haben im Unterricht einen Sachtext gelesen. Ich habe diesen dreimal so schnell wie meine Mitschüler durch gehabt. Da habe ich ziemlich Erklärungsbedarf den Lehrern gegenüber.“ Das nimmt der bescheidene Gymnasiast aber gelassen. „Ich kann über 22.000 Wörter pro Sekunde aufnehmen, ohne diese allerdings zu verarbeiten. Anhand von Fragen kann ich diesen Text dann aber wiedergeben.“ Das möge sich im ersten Moment unglaubwürdig anhören, sei aber reine Übungssache.

„Fotolesen“ wie eine Sportart anwenden

Nach fast zwei Jahren ist Marian Rick ein Profi im Fotolesen. Doch wie geht er dabei vor? Mit seinem Gesicht fliegt er in Schlangenform über den Text. „Die meisten Informationen stecken in den Nomen“, verrät der angehende Grafik-Design-Student. „Das muss man wie eine Sportart anwenden und die Lesemuskeln trainieren.“ Der 18-Jährige hat schon früh mit dem Lesen angefangen. Als andere Kinder in seinem Alter das Schwimmen lernten, griff Rick eher zum Buch. „Ich weiß, dass das Fotolesen in Neuseeland bereits in der Grundschule eingeführt wird. Auch in anderen Ländern ist es fest etabliert. In Deutschland ist es dagegen noch nicht so verbreitet. Ja eigentlich fast gar nicht“, so der Billerbecker. „Je früher man damit beginnt, desto besser.“

Rick spricht nicht von einer Begabung, sondern eher von einem anderen Lernen. Erste Fortschritte stellten sich bei ihm bereits nach kurzer Zeit ein. Die Lesegeschwindigkeit etwa, die könne man nach einem Seminar versechsfachen. Fortgeschrittene erfassen den Text einer Seite innerhalb einer Sekunde. Und es geht noch schneller. Wie nur? Einfach auswendig lernen – das ist von gestern und der Stoff in ferner Zukunft kaum noch abrufbar. Claudia Pinzkes Rezept vereinfacht dargestellt: Die Informationen aus Büchern, Zeitschriften und Zeitungen einfach mental abfotografieren. Wer Interesse an einem solchen Seminar hat, kann sich unter Telefon (0251) 274689 bewerben.

Zum Thema

Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hemisphären, aus der rechten und der linken Gehirnhälfte. Die Zweiteilung ist keine neue Entdeckung. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten wurde jedoch die bahnbrechende Entdeckung gemacht, dass die beiden Hirnhälften unterschiedliche Funktionen haben und durch ein komplexes Netz miteinander verbunden sind. Dieses Netzt dient der Informationsübertragung zwischen den beiden Hemisphären.
Untersuchungen zeigen, dass der linken Hirnhälfte, der für Lese- und Lernprozesse bedeutsame Teil des Lernens, Strukturierungsfähigkeit, lineares Denken, langsames, genaues Wort-für-Wort-Lesen zugeordnet werden. Die rechte Hirnhälfte ist dagegen für kreative Aktivitäten und das ganzheitliche Erfassen von Zusammenhängen zuständig. Der für Lese- und Lernprozesse bedeutsame Unterschied zwischen rechter und linker Hirnhälfte betrifft die Schnelligkeit und Gleichzeitigkeit der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Beim Hören eines Liedes beispielsweise achtet die linke Hirnhälfte auf die Worte, während die rechte die Melodie verarbeitet. Es ist kein Zufall, dass Worte, die in Verbindung mit Musik, Bildern oder Gefühlen aufgenommen werden, leichter und schneller gelernt werden. Fotolesen macht sich diese Erkenntnis zu Nutze. Wenn es gelingt, bei Lese- und Lernvorgängen die linke Gehirnhälfte mit der rechten zu synchronisieren, führt dies zu gesteigertem Leistungsvermögen in Bezug auf Effektivität und Erinnerung von gelesenen Texten.